Zuerst einmal herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Abend. Vor allem an Dich Bertram. Ich freue mich, dass ich Euch meinen Arbeitsansatz – besonders in Bezug auf den Frieden – vermitteln darf. Aus meiner Sicht hat Frieden in erster Linie mit unserer Innenwelt zu tun. Um für die Heilung der Welt etwas tun zu können – und Frieden bedeutet für mich eine heile Welt – müssen wir uns um die Heilung unseres inneren Universums kümmern, denn das Innen bestimmt stärker das Außen als umgekehrt.
Wie ich zu dem gefunden habe, wovon ich euch heute ein wenig vermitteln möchte, hat viel mit meiner persönlichen Geschichte zu tun. Ich bin ein sehr verletzter Mensch, das heißt ich habe sehr traumatische Erfahrungen gemacht. Vor allem in meiner Kindheit und Jugend, also Zeiten, die zutiefst prägend sind.
Für meine Heilung waren bzw. sind ein paar Wege von großer Bedeutung. Aikido sowie psychotherapeutische Prozesse. Und vor allem ein Heilweg, der sehr direkt am Körper arbeitet. Ich nenne es die Heilmethode nach Ildikó Haring.
Im Laufe der Zeit habe ich immer besser verstanden, dass ich immer an denselben Entwicklungsschritten gearbeitet, mich dem Thema jedoch von verschiedenen Seiten angenähert habe. Mal mehr vom Körper oder dann wieder vom Geist oder meinen Gefühlen. Mal mehr von oben, dann wieder von unten.
Ich versuche, die verschiedenen Methoden miteinander zu verbinden und so eine sehr persönliche Sicht- und Arbeitsweise zu entwickeln. Mit diesem Konzept arbeite ich in verschiedensten Zusammenhängen; Aikidounterricht für Erwachsene und Kinder, Aikido für Schauspielschüler, Aikido für geistig behinderte Jugendliche, Seminare zum Thema Selbststärkung, Deeskalation, Konfliktmanagement, Einzelarbeit und Begleitung tiefgehender seelischer Heilprozesse. Mit den unterschiedlichsten Zielgruppen: Männer, Frauen, Jugendliche, Paare, aber auch Randgruppen wie geistig Behinderte, Langzeitarbeitslose, GewalttäterInnen…..
Ich möchte Euch einige wichtige Aspekte vermitteln. Zu jedem Aspekt werde ich meine Ideen und Sichtweisen kurz schildern und eine Körperübung oder Aikidotechnik damit verbinden.
Aikido war und ist für mich vor allem heilsam, weil ich wieder Zugang zu meinem Körper gefunden habe.
Übung: Setzt euch bitte aufrecht und schließt die Augen. Wendet eure Aufmerksamkeit nach innen. Spürt zuerst den Boden und den Kontakt eures Körpers zum Boden. Spürt wie euch der Boden trägt und euch Halt gibt. Nehmt bitte euren Körper wahr und beginnt bei den Füßen. Wichtig: es gibt nichts, was ihr wahrnehmen solltet. Wichtig ist, einfach wertfrei wahrzunehmen, was ist. Vielleicht spürt ihr Wärme oder Kälte, Anspannung oder Entspannung. Vielleicht spürt ihr euch kräftig oder schwach oder ihr könnt einen Körperteil gar nicht wahrnehmen. Wichtig ist das, was ist. Geht nun in der Wahrnehmung weiter zu den Beinen. – eurem Becken, Beckenraum, Gesäß – Bauch und Bauchraum – Brustkorb und darunter Herz und Lunge – Schultern, Arme und Hände – Nacken und Hals – Kopf und Gesicht. Dann nehmt – ohne sie zu verändern – bewusst eure Atmung wahr. Spürt einfach, wie euer Körper ein- und ausatmet und nehmt wahr, wo im Körper ihr diese Atembewegung spüren könnt.
Unser Körper hat ein Gedächtnis. Alle Erlebnisse sind darin gespeichert. Über den Körper finden wir Zugang zu Traumata, aber auch zu wichtigen Ressourcen, die wir für die Bewältigung des Lebens brauchen. Durch schwere Traumata kann man den Zugang zum eigenen Körper ganz oder teilweise verlieren. Dann spürt man sich nicht mehr richtig, nimmt den Körper nicht wahr. Teile des Körpers können sich leblos anfühlen. Sie sind von unserem Bewusstsein nicht durchdrungen. Irgendwie ausgeblendet. Diese Körperteile sind dann energetisch schlecht versorgt und anfällig für Erkrankungen. Oder wir spüren starke Anspannung, was ebenfalls zu einer Blockade des Ki-Flusses führt.
Fast jeder Mensch lehnt irgendetwas am eigenen Körper ab. Körperablehnung ist jedoch Selbstablehnung. Die Beziehung zum eigenen Körper – oder besser gesagt eine positive Beziehung zum eigenen Körper, ein Verbundensein mit dem eigenen Körper – ist also für jeden Menschen wichtig. Schon allein für den Erhalt der eigenen Gesundheit.
Für seelische Heilung ist diese Verbindung unerlässlich. Ich arbeite – neben Übungen, die dem Aikido entlehnt sind (Paul Linden hat viele hilfreiche Übungen aus dem Aikido entwickelt) – mit unterschiedlichen Methoden.
Über das Bewusstsein kann man also eine Verbindung herstellen zwischen unserem Geist bzw. unserer Seele und unserem Körper. Das ist eine sehr feine Arbeit, weil man Masche für Masche Verbindung herstellen muss – wie beim Häkeln. Man könnte also auch sagen, Verletzungen sind Löcher in diesem Geflecht und Heilung bedeutet, diese Löcher Masche für Masche zu schließen.
In diesem Zusammenhang finde ich Aikido nach Watanabe Sensei besonders wertvoll, weil er sehr auf der geistigen Ebene arbeitet und doch der Körper als Medium dient, bestimmte Erfahrungen zu machen.
Damit KI frei fließen kann, müssen wir uns öffnen. Das passiert im bzw. durch Aikidotraining genauso wie in einem Heilungsprozess. Eine sehr wichtige Öffnung ist die Öffnung unseres Herzens. Für unsere Liebes- und Beziehungsfähigkeit und um uns verbinden zu können. Das geht ohne offenes Herz nicht.
Übung: Rückwärts abrollen nach Watanabe Sensei
Viele Menschen sind von ihrem Herz abgeschnitten. Sie nehmen es gar nicht mehr wahr oder spüren es tot. Das spielt etwa bei Beziehungsstörungen eine wichtige Rolle und passiert durch tiefe Verletzungen.
Heilsam ist für den Menschen, wieder Zugang zum eigenen Herzen finden und es wieder öffnen können.
Körperliche Methoden: Man liegt am Boden und hat auf der Höhe der Schulterblätter eine Rolle oder eine Decke.
Aikido-Übungen
Tiefenentspannung
Klient ist das Herz.
Wichtig bei dieser Arbeit ist auch der Umgang mit Widerstand, auch ein Thema, das im Aikido eine große Rolle spielt. Ziel ist totale innere Widerstandslosigkeit. Widerstand darf man jedoch nicht brechen, denn er hat oft einen lebenserhaltenden Sinn. Man muss ihn langsam – Stück für Stück aufgeben können.
Im Aikido gibt es auch tolle Übungen zur Widerstandslosigkeit.
Je länger ich Aikido trainiere und arbeite, desto stärker wird meine Faszination für das Unsichtbare. Es entsteht auf einer tieferen Ebene ein „echtes Sehen“.
Entscheidend ist aus meiner Sicht nicht die äußere Form, sondern die innere Haltung. Die für mich wichtigste Haltung des Aikido ist die innere Haltung der Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit, der vollkommene Verzicht auf Feindseligkeit.
Übung: Irimi-Nage
Für jeden Menschen spielt die Auseinandersetzung mit der eigenen Aggression bzw. Gewalttätigkeit eine wichtige Rolle. Wir sind nicht nur Opfer. Wir sind auch TäterInnen. Meist schwanken wir zwischen beiden Polen hin und her – also entweder Verzicht auf Aggression bzw. deren Verdrängung (Opfer, Krankheit) oder Gewalttätigkeit. Aikido bietet uns da eine wunderbare Lösung an. Wir lernen, uns zu schützen, ohne dabei den „Angreifer“ verletzen oder vernichten zu müssen.
In jedem Heilprozess spielt die Aggressionsarbeit eine wichtige Rolle. Es ist sehr wichtig, sich mit der eigenen Täterseite zu konfrontieren. Also sich bewusst zu machen: Wie sieht meine Aggression im Negativen aus? Wie zerstörerisch und gewalttätig bin ich? Welches Monster lebt in mir?
Der Fokus verlagert sich vom außen nach innen. Feinde gibt es nicht mehr im außen, sondern nur noch in mir. Es gilt, die eigenen inneren Dämonen zu befrieden.
Ziel ist jedoch nicht ein Verzicht auf Aggression, sondern die Entwicklung einer konstruktiven Form der Aggression. Ich nenne das nach Ildikó Haring die herzliche Aggression. Wer dazu mehr wissen will, kann das auf meiner Homepage oder in dem Tagungsband „Kreativität statt Kampf“ nachlesen.
Die Übung von Aikido schult die herzliche Aggression. Es entsteht – wie Paul das so schön sagt – eine Verbindung zwischen Kraft und Liebe. Oder auf körperlicher Ebene eine Verbindung zwischen Bauch und Herz. Und wenn uns das bewusst ist auch noch zum Kopf.
Wie das Innen so das Außen!
Aikido und Heilarbeit sind sowohl Arbeit nach innen wie nach außen. Die Bewegung nach innen und außen sind auch natürliche energetische Bewegungen, die in bestimmten Rhythmen stattfinden. Das kann man in der Natur – etwa im Wechsel der Jahreszeiten – beobachten, aber auch im Körper.
Arbeit nach innen ist die Entwicklung von Selbstreflexion. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist sehr wichtig und Teil echter Stärke.
Arbeit nach außen ist Training. Für die Heilung ist nicht nur ein tieferes Verständnis von mir selbst wichtig. Mindestens so wichtig sind neue Erfahrungen. Also sich riskieren und Fähigkeit erfahren statt überwältigt werden (Ohnmacht, Trauma). So entwickelt man neue Fähigkeiten, die dann auch trainiert werden müssen.
Um ein Bild aus der Hirnforschung zu verwenden (Gerald Hüther): Frühe Erfahrungen prägen Bahnen im Gehirn, die wir immer wieder benutzen (Wiederholungszwang). Das wären dann die Autobahnen in unserem Hirn. Selbstreflexion bedeutet, ein Bewusstsein über diese Bahnen entwickeln. Neue Erfahrungen, die unter die Haut gehen oder begeistern, schaffen neue Bahnen im Hirn. Training bedeutet, diese neuen Bahnen nutzen statt der alten Autobahnen. Dies erfordert einen hohen Grad an Bewusstheit.
Wie das oben so das unten!
So wie es die Bewegung von innen nach außen und umgekehrt gibt, gibt es auch eine Bewegung zwischen oben und unten.
Watanabe lehrt das so schön: Immer in beide Richtungen arbeiten.
Übung: Shiho-Nage
Auch in der Heilarbeit spielen beide Bewegungen eine sehr wichtige Rolle.
5a.) Arbeit nach unten: Zwei Aspekte möchte ich kurz ansprechen.
Erdung: Dabei spielt der Kontakt zum Boden eine wichtige Rolle. Dazu gibt es viele Wahrnehmungs- und Körperübungen.
Im Aikido – wieder besonders im Unterricht von Watanabe Sensei – geht es vor allem um richtiges Stehen.
Auch im übertragenen Sinn stimmt: ein geerdeter Mensch hat einen guten Stand im Leben. In der Bewusstseinsarbeit geht es um folgende Fragen: Was gibt mir Halt im Leben? Spüre ich den Boden? Tragen mich meine Beine? Wie stehe ich gut? Wie kann ich in echter Nähe mit Menschen leben?
Ein wichtiger Aspekt dabei ist Beziehungsfähigkeit. Wir erden uns sehr stark über die Liebe – entweder zu bestimmten Menschen oder in Form einer spirituellen Aufgabe. Zwischenmenschliche Beziehungen geben Halt und ermöglichen Entwicklung.
Ein sehr wichtiges Ziel von Aikido und Heilarbeit ist also die Entwicklung von Beziehungsfähigkeit. Ein gesunder Mensch ist nicht frei von Problemen oder sogenannten „schwachen Gefühlen“. Ein gesunder Mensch ist vor allem beziehungsfähig.
Das Tier in uns: In jedem Menschen gibt es ein Tier (weil wir uns von dort her entwickelt haben). Zum Tier in uns gehören Aggression, Sexualität, Instinkte, Intuition, Vitalität, das Wilde in uns……und somit viel Kraft. Das Tier ist stark verbunden mit unserem Körper, vor allem dem unteren Teil.
Sehr oft sind wir von diesem Tier abgeschnitten oder leben im Krieg mit ihm. Oder es ist eingesperrt.
In der Arbeit mit dem Tier geht es um den Zugang zu ihm. Was ist das für ein Tier in mir? Was ist ihm passiert? Wie geht es ihm? Wie muss ich mit ihm umgehen, damit es ihm gut geht und es mir dient?
Das Tier in mir was ursprünglich ein wildes und freies Raubtier. Eine Tigerin oder Wölfin. Es wurde jedoch eingesperrt und missbraucht. Man hat ihm eine Art Zaumzeug – ein Brustgeschirr angelegt, um es beherrschen zu können. Und es dann wie einen lächerlichen Tanzbären im Zirkus zur Unterhaltung anderer Menschen vorgeführt. Dadurch ist es ein Therapietier geworden.
5b.) Arbeit nach oben:
Aikido ist ein spiritueller Weg. In jedem Dojo gibt es einen Shomen, vor dem wir uns verbeugen. Der Mensch wendet sich dem Göttlichen zu.
Leben ist für mich ohne Gott nicht möglich. Heilung auch nicht. Es gibt tiefe seelische Wunden, die nur über eine spirituelle Sicht lösbar sind. Nur aus spiritueller Sicht erschließt sich eine Antwort auf die wichtige Frage: Welchen Sinn hat diese Erfahrung? Und was gewinne ich daraus?
Nur so ist es möglich, sehr schwierige Erfahrungen anzunehmen. Das Annehmen ist aber Vorraussetzung für Transformation und Heilung. Heilung bedeutet für mich, Zugang finden zu Gott in mir. Manche nennen es das höhere Selbst. Es ist auf jeden Fall etwas in uns, das heil ist. Immer heil war. Von den Verletzungen nicht betroffen wird. Von diesem Raum her passiert Heilung.
Für mich als Therapeutin ist dabei auch wichtig, dass letztlich nicht ich diejenige bin, die heilt. Ich ermögliche das nur, durch meine Haltung, meine Präsenz, mein Wissen…
Alles hat ein Zentrum – auch der Dojo. Aber auch jeder Mensch. Unsere Körpermitte. Nach Watanabe Sensei ist das der Bauchnabel.
Übung: Ikkyu
Was im Aikido auf körperlicher Ebene geübt wird, spielt auch in der Entwicklungsarbeit eine wichtige Rolle.
Was bedeutet es, in meiner Mitte zu sein? Wie komme ich dorthin?Dazu kann man auch verschiedene Übungen machen.
Ein paar Aspekte sind aus meiner Sicht wichtig:
Reflexionsfähigkeit
Fähigkeit, sich in der Tiefe wahrzunehmen
Eigene Schwächen annehmen und tragen können
Somit die eigene Wahrheit kennen
Die eigene Wahrheit auch ausdrücken und vertreten können
Das ist echte Stärke. Im Zentrum entsteht eine Verbindung zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde, zwischen Engel und Tier.
DAS IST DER MENSCH!!!
Aikido ist ein Weg. Heilarbeit ist ein Weg. Mein Leben ist ein Weg. Ich befinde mich auf diesem Weg, gemeinsam mit anderen Menschen. Mit dem Ziel, in meinen ganz persönlichen Farben in dieser Art Mensch zu sein.
Ich danke Euch fürs Zuhören und mitmachen und dafür, dass ihr mir Wegbegleiter seid.